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30.06.2025

Post-Covid-Syndrom: Schwerbehindertenrechtliche Bewertung analog zu Beurteilung des Chronischen Fatigue-Syndroms

Für die Frage der schwerbehindertenrechtlichen Bewertung des Post-Covid-Syndroms orientiert sich das Sozialgericht (SG) Speyer an den Grundsätzen, die für das Chronische Fatigue-Syndrom gelten.

Der Kläger, der derzeit eine befristete Erwerbsminderungsrente bezieht, infizierte sich im März 2021 mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Obwohl die dadurch verursachte Covid-19-Erkrankung einen milden Verlauf ohne schwerwiegende Symptome nahm, leidet er seitdem unter dem so genannten Post-Covid-Syndrom mit krankhaften Erschöpfungszuständen und psychischen Problemen in Form von Konzentrations-, Wortfindungs- und Gedächtnisstörungen sowie phobischen Schwankschwindel.

Auf Antrag des Mannes stellte das zuständige Versorgungsamt einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 fest. Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Das Ausmaß einer schweren Störung, wie zum Beispiel einer schweren Zwangskrankheit, werde nicht erreicht. Es fehle insbesondere an einem organischen Korrelat der beklagten Beschwerden.

Der Mann klagte auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft. Das SG Speyer gab der Klage unter Hinweis auf ein neurologisches Gutachten statt und verurteilte das Land Rheinland-Pfalz zur Feststellung eines GdB in Höhe von 50.

Beim Kläger liege eine organisch-psychische Störung vor, die in ihrer Gesamtheit mit diesem GdB zu bewerten sei. Dabei handele es sich nicht um eine ursächlich psychische Erkrankung, wie zum Beispiel eine Depression oder psychosomatische Störung. Vielmehr liege eine organisch bedingte Folgeerkrankung der Covid-19-Infektion vor, die beim Kläger insbesondere mit gesteigerter geistiger und körperlicher Erschöpfbarkeit, Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen sowie Schwindel einhergehe (so genanntes Post-Covid-Syndrom).

Weil für das Post-Covid-Syndrom zur Beurteilung des GdB in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (noch) keine Anhaltswerte aufgeführt sind und die verschiedenen Symptome, die als Post-Covid-Syndrom zusammenfasst sind, unabhängig von der Ursache der Beschwerden am ehesten mit denen des Chronischen Fatigue-Syndroms verglichen werden können, sei das Post-Covid-Syndrom an den Maßgaben von Teil B, Nr. 18.4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VMG) zu messen und jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen, meint das SG Speyer.

Schwerbehindertenrechtlich stelle sich damit allein die Frage, inwieweit die "Behinderung" und die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen den Kläger in seiner Teilhabe beeinträchtigen. Zur Beantwortung zieht das Gericht die Anhaltswerte in Teil B, Nr. 3.7 VMG (Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen) heran.

Aus dem Umstand allein, dass dem Kläger eine befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt wird und er seine Arbeitstätigkeit seit der Infektion mit Covid-19 im März 2021 nicht mehr ausübt, folge keine Höherbewertung des GdB. Dieser sei grundsätzlich unabhängig von der beruflichen Situation zu beurteilen (vgl. VMG, Teil A, Nr. 2 a).

Eine höhere Berücksichtigung sei aber insbesondere in Anbetracht der nahezu nicht mehr vorhandenen Funktionalität des Klägers bei aufgegebener Berufstätigkeit gerechtfertigt. Seit seiner Covid-19-Infektion verbringe er seine Tage – überwiegend ruhend und sozial zurückgezogen – zu Hause. Mittelgradige sozialen Anpassungsschwierigkeiten seien zu bejahen.

Sozialgericht Speyer, Urteil vom 03.06.2025, S 12 SB 318/23, nicht rechtskräftig