04.12.2025
Der Spiegel war zur Unterlassung einer Berichterstattung im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal verurteilt worden. Hiergegen legte das Nachrichtenmagazin Verfassungsbeschwerde ein und hat nun recht bekommen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sieht den Spiegel in seinen Grundrechten auf Meinungs- und Pressefreiheit verletzt.
Soweit es die Wortberichterstattung betrifft, habe das Oberlandesgericht (OLG) die Anforderungen an die dem Spiegel obliegenden Sorgfaltspflichten überspannt und teilweise bereits eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügende Sinnermittlung des Kontexts der Berichterstattung vorgenommen. Dieser Begründungsmangel hat sich laut BVerfG in der Beurteilung der Bildberichterstattung fortgesetzt. Es hat daher die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens war zunächst im Wirecard-Konzern tätig, bevor er 2018 ausschied und Geschäftsführer eines Startup-Unternehmens wurde. Dieses Unternehmen erhielt bis Ende März 2020 durch ein Unternehmen des Wirecard-Konzerns einen Kredit von 115 Millionen Euro. Dessen deklarierter Zweck war ein so genanntes Mercant Cash Advance (MCA-Geschäft), bei dem es sich um ein Zusatzprodukt zur eigentlichen Zahlungsabwicklung handelt, das höhere Margen verspricht. Der Insolvenzverwalter der Wirecard AG sowie die Staatsanwaltschaft nehmen an, dass über das Vehikel der MCA-Geschäfte hunderte Millionen Euro veruntreut worden seien. Die Staatsanwaltschaft leitete unter anderem gegen den Kläger im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal ein Ermittlungsverfahren ein.
Der Spiegel veröffentlichte Artikel zu dem Skandal, in denen er auch über den Kläger berichtete, die Artikel versah er mit nicht verpixelten Bildern des Klägers. Der Kläger klagte auf Unterlassung und hatte in erster und zweiter Instanz Erfolg. Das OLG führte aus, da in beiden Artikeln zumindest der Verdacht geäußert werde, der Kläger sei in strafrechtlich relevanter Weise an der Begehung der geschilderten Taten beteiligt gewesen, seien die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung entsprechend anwendbar. Deren Voraussetzungen seien allerdings nicht erfüllt.
Die gegen das Urteil eingelegte Verfassungsbeschwerde des Spiegel hatte Erfolg.
Das BVerfG hat hinsichtlich der Wortberichterstattung grundlegende Bedenken an der Vorgehensweise des OLG, den erforderlichen Mindestbestand allein auf der Grundlage von Verdachtsstufen zu bestimmen. Die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung könne nicht allein davon abhängig gemacht werden, dass ein bestimmter Grad an Wahrscheinlichkeit für die Begründetheit des Verdachts spricht. Dürfte die Presse eine Verdachtsberichterstattung immer nur dann veröffentlichen, wenn sie eine über den Anfangsverdacht hinausgehende Verurteilungswahrscheinlichkeit zu belegen vermag, wäre dies mit Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz nicht vereinbar. Das gelte namentlich für eine Verdachtsberichterstattung über komplexe, auf Verschleierung angelegte Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität.
Zudem berücksichtige das OLG nicht hinreichend, dass das Interesse der Öffentlichkeit am Gegenstand der Berichterstattung bereits bei Bemessung der Sorgfaltsanforderungen gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abwägend zu berücksichtigen sei und umso stärker ausfalle, je mehr sich die Straftat durch die Art der Begehung oder die Schwere der Folgen über die gewöhnliche Kriminalität heraushebt. Beim Verdacht allgemeinschädlicher Wirtschaftsstraftaten stehe in besonderer Weise derjenige im Blickfeld der Öffentlichkeit, dessen (objektive) Nähe zu den in Frage stehenden Ereignissen sich gerade aus einer beruflich hervorgehobenen Position und der damit verbundenen wirtschaftlichen Verantwortung ergibt. Mit Blick hierauf hätte das OLG bei der Würdigung der Beweistatsachen in die Betrachtung einbeziehen müssen, dass an der Person des Klägers und seinen damaligen geschäftlichen Handlungen aufgrund seiner hervorgehobenen Position als Geschäftsführer eines Unternehmens, auf die sich der Verdacht einer Verstrickung in erhebliche Wirtschaftsstraftaten im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal erstreckt, ein besonderes öffentliches Informationsinteresse besteht.
Das OLG habe auch in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise angenommen, dass die identifizierende Bildberichterstattung den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Zwar begegne es im Ausgangspunkt keinen Bedenken, aus der Unzulässigkeit einer Wortberichterstattung zu schließen, dass auch die diese flankierende Bildberichterstattung unzulässig ist. Ist ein Fachgericht – wie hier – aber bereits in verfassungsrechtlich nicht tragfähiger Weise von einer unzulässigen Verdachtsberichterstattung ausgegangen, setze sich dieser Begründungsfehler zwangsläufig in einer kongruent erfolgten Beurteilung der Bildberichterstattung fort. Zudem habe das OLG außer Acht gelassen, dass der Kläger, selbst wenn er nicht als prominent wahrgenommen werden mag, zum maßgeblichen Zeitpunkt eine herausgehobene berufliche Position mit erheblicher wirtschaftlicher Verantwortung innehatte.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 03.12.2025, 1 BvR 573/25